so beschreibt der bekannte Wein-Journalist Rudolf Knoll in seinem vor
einigen Jahren erschienenen „Plädoyer für einen großen Wein“ den
Ursprung des Rieslings, den „König der Weißweine“. Er stellt einleitend
fest: „Es ist erstaunlich. Bei vielen Rebsorten lässt sich ihre
Herkunft über Tausende von Jahren zurückverfolgen. Der Riesling dagegen
gibt Rätsel auf“. Unter anderem verweist er auf das Weinbau-Lexikon
(1930), das vor 80 Jahren als Standardwerk mit der wohl größten
Informationsfülle über den Weinbau Geltung hatte. Darin wird als Heimat
des Rieslings schlicht „Deutschland“ genannt, mit dem ergänzenden
Hinweis „wahrscheinlich ein Sämling aus dem Rheingau“.
Aber nicht nur der zitierte Wein-Journalist steht beim Riesling vor
einem Rätsel, soweit es um dessen Herkunft geht. Schon der wohl
bedeutendste deutsche Weingeschichtsforscher Friedrich von Bassermann-Jordan bemerkte in seinem zweibändigen Werk „Geschichte des Weinbaus“ zu
Beginn des vergangenen Jahrhunderts, dass die Herkunft der „wichtigsten
deutschen Weißweinrebe – des Rieslings“ wohl nie beweiskräftig
aufzuklären sein werde. Dabei ging er auf verschiedene Ansichten von
Ampelographen (Rebsortenkundige) ein, die dem Riesling sogar eine
römische Herkunft beimessen wollen. Andere wiederum seien der Meinung,
dass der Riesling von der Mosel an den Rhein gelangte. Bassermann-Jordan
verweist in diesem Zusammenhang auf eine Literaturquelle von 1857, nach
der „die Gegend von Neustadt/Weinstraße nach Worms als Urheimat des
Rieslings“ angesehen werde.
Im „Rebsortenratgeber Rheinhessen“, der 1978 von der
Erzeugergemeinschaft Rheinhessischer Rebenveredler in Alzey gemeinsam
mit der Landes-, Lehr- und Versuchsanstalt für Wein-, Obst- und
Gartenbau in Oppenheim herausgegeben wurde, heißt es zum Riesling als
der „wertvollsten Rebsorte“: „Die Herkunft des Rieslings konnte nicht
genau ermittelt werden. Vieles deutet allerdings auf den Wonnegau hin.
So wurde erstmals im Jahre 1490 der Riesling in Worms urkundlich
erwähnt. Weiterhin ist im Stadtarchiv von Pfeddersheim im Jahre 1511 ein
halber Morgen Rieslingwingert ausgewiesen“.
Beim „Sechsten Alzeyer Kolloquium“ vom 11. bis 13. April 1991, das
unter dem Leitthema „Weinbau, Weinhandel und Weinkultur“ stand und von
namhaften Experten geführt wurde, war eines der behandelten Themen dem
„Weinbau und Weinabsatz im späten Mittelalter“ gewidmet. Alle Beiträge
dieser überregionalen Fachveranstaltung sind im 40. Band „Geschichtliche
Landeskunde“ des Instituts für Landeskunde an der Universität Mainz im
Jahre 1993 veröffentlicht worden.
Auf diesem Alzeyer Kolloquium wurde hervorgehoben, dass zahlreiche
Vermutungen über die Herkunft des Rieslings angestellt worden seien,
ohne dass bislang ein eindeutiger Nachweis über die Herkunft dieser wohl
wichtigsten deutschen Rebsorte geführt werden konnte. Manches - so
wurde festgestellt - deute darauf hin, dass der Riesling im Rheingau
oder in der Pfalz aus Sämlingen gezogen worden sei und dass daran auch
die am Oberrhein heimischen Ur- oder Wildreben (vitis silvestris)
beteiligt gewesen wären. Aber auch dies seien bisher nur Vermutungen.
Aufschlussreich waren bei der Alzeyer Fachveranstaltung die Hinweise
auf bisherige urkundliche Nachweise im Zusammenhang mit früheren
Literaturquellen über den Riesling, die nachfolgend skizziert werden
sollen. Diese Nachweise stellen allerdings keine „Geburtsurkunde“ für
den Riesling dar; sie sind - wie auch andere alte Urkunden - nur
zufällige Orts- und Zeitdokumente für die bislang ersten Erwähnungen des
Rieslings.
Den bisher ältesten Nachweis für den Riesling verdanken wir der für ihre damalige Zeit besonders gut geführten Verwaltung der Besitzungen der Grafen von Katzenelnbogen. In ihrer Burg zu Rüsselsheim vermerkte der einstige Verwalter Claus Kleinfisch unter dem Datum des 13. März 1435 unter anderem: „Item XXII ß (=Solidi, eine Münzeinheit) umb seczreben rießlingen in die wingarten“. Es wurden also 22 Solidi für Riesling-Setzreben für die Weingärten ausgegeben.
Demnach ist die
heutige Opelstadt Rüsselsheim der geographisch belegte Ort, wo der
Riesling erstmals urkundlich nachgewiesen ist und wo im Herbst 1985 –
also 550 Jahre nach der ersten Erwähnung der Rebsorte Riesling – eine
Gedenktafel an einen im Jahr 1980 angelegten „Erinnerungsweinberg“ an
der Frankfurter Straße angebracht wurde. Sie trägt den Wortlaut:
„Rüsselsheimer Rieslingwingert. In einer Rüsselsheimer
Kellerei-Rechnung des am 11. März 1435 beginnenden Rechnungsjahres wird
ein Betrag von 22 Schilling für den Kauf von Rieslingsetzreben
aufgeführt. Dies ist die früheste urkundliche Erwähnung des Rieslings
überhaupt. Weinbau wurde in Rüsselsheim über Jahrhunderte bis zum ersten
Weltkrieg betrieben. Zur Erinnerung an die Ersterwähnung der
Rieslingrebe und an die Tradition des Weinbaus in Rüsselheim wurde
dieser Rieslingwingert 1980 angelegt“.
Nachfolgend die Kellerei-Rechnung vom 13. März 1435 aus der Burg der
Grafen von Katzenelnbogen zu Rüsselsheim. In der 4. und 3. Zeile von
unten heißt es: „Item XXII ß umb setzreben rießlingen in die wingarten“.
(heute Staatsarchiv Marburg, Best. Rechn. I: Rüsselsheim).
Der bisher zweitälteste Nachweis für den Riesling stammt vom Mittelrhein
aus dem Jahre 1453, als das Kloster Aulhausen seinen Hof und seine
Weinberge – darunter auch Rieslinge – in Diebach verpachtete. Ein
Jahrzehnt später – anno 1464 – lässt sich ein Hinweis auf den Riesling
von der Mosel belegen: durch das Sankt Jakobsspital in Trier wurden
„ruesseling reben“ eingekauft.
Dabei wurde auch – bislang erstmals – der Name des Lieferanten für diese Reben und der Ort der Anpflanzung bekannt. Es war der Winzer Thornes Peter von Zewen und der Ort Kerstgins Olk. Eine wichtige Rolle spielt eine Wormser Urkunde von 1490, die auch schon im Grimm’schen „Deutschen Wörterbuch“ (Bd. 8, 1898, Sp. 954ff) erwähnt worden ist. In dieser Urkunde bestätigten Velten Drudel, Minister am Sankt Andreasstift in Worms, und seine Mutter Agnes, dass sie von Johann Wolff ein Kapital von 30 Goldgulden gegen eine jährliche Verzinsung von 1 ½ Gulden aufgenommen haben, zu zahlen am Sankt Georgstag. Zur Sicherheit „verlegen und versetzen“ sie mehrere Grundstücke, darunter auch „Item funff virteil wingart ist Rußlinge hinder kirßgarten“. Nach heutigem Maß wären das 0,47 Hektar. Da es sich hierbei um die erste urkundliche Erwähnung eines bestehenden Weinbergs mit einer sehr wahrscheinlich sortenreinen Rieslinganlage handelte, gab die Deutsche Bundespost im Januar 1990 eine Sonderbriefmarke mit der Aufschrift „Fünf Jahrhunderte Rieslinganbau“ heraus.
Der gleiche Wormser Rieslingweinberg lässt sich in der Folgezeit
nochmals in zwei weiteren Wormser Urkunden vom 12. Mai 1494 und 4. Mai
1498 nachweisen. Diese wiederholten Erwähnungen lassen die Vermutung zu,
dass es sich um einen sortenreinen Rieslingbestand gehandelt hat.
Eine ähnliche urkundliche Verpfändung zugunsten einer Gülte von ½ Gulden
an die Sankt Sebastianbruderschaft zu Pfeddersheim von Martini 1511
zählt einen Acker, zwei Wingerte ohne Sortenangabe, einen roten Wingert
und schließlich „Item ein halben morgen rissling wingart im Funtdaill“
auf. Auch in dieser Urkunde, die neben der Größe ebenso die Lage
bezeichnet, kann auf einen sortenreinen Rieslingbestand geschlossen
werden, weil drei weitere Weinberge in dieser Urkunde ohne Sortenangabe
erwähnt wurden.
Das Pfeddersheimer Ehepaar Philipp Meyer und Frau Else verpfändete an
die örtliche Bruderschaft Sankt Sebastian unter anderem diesen
Rieslingwingert. Diese Bruderschaft war in jener Zeit in wiederholten
Fällen „Geldausleiher“. Als Sicherheit wurde Land (Acker, Garten- und
Rebland) als Pfandobjekt bereitgestellt.
Ortsgeschichtlich ist die Pfeddersheimer Rieslingurkunde von 1511
auch deshalb besonders interessant, weil die darin erwähnte Flurlage „im
Funtdaill“ heute noch als Lagenamen „Im Fohndel“ im Kataster
eingetragen und örtlich genau bekannt ist. Diese Gemarkungslage wird bis
auf den heutigen Tag weinbaulich genutzt. Schon 1401 wurde die Lage „im
Funndaill“ erstmals urkundlich nachgewiesen, später erneut im Jahre
1441 sowie mit namentlichen Abwandlungen „im funthal“, „im fontel“, „im
fohntaal“ in den Jahren 1512, 1517 und 1680. Der Flurname wird als
Verkleinerungsform vom mittelhochdeutschen „Fontane“ bzw. „Funtane“ (=
Quelle) abgeleitet und die Bezeichnung „Fohndel“ als Quellchen
übersetzt. Dies ist deshalb nahe liegend, weil einst im unteren
Talbereich ein Bächlein verlief.
Auch heute befinden sich in der Lage „Im Fohndel“ nach 500
Jahren seit der Ersterwähnung immer noch Weinberge der Rebsorte
Riesling. Damit existiert möglicherweise in Pfeddersheim die älteste,
noch erhaltene Rieslinganlage Deutschlands. Vor diesem Hintergrund
errichteten die Pfeddersheimer Winzer in dieser Flurlage ein
Schild-Denkmal mit einigen Schriftzeilen aus der Urkunde von 1511.
Im Zusammenhang mit der bislang frühesten Erwähnung des Rieslings in der
Kellereirechnung der Grafen von Katzenelnbogen von 1435 zu Rüsselheim
ist öfters die Frage gestellt worden: Wo kamen die dort genannten
Rieslingsetzreben her und wo wurden sie gepflanzt? Kamen diese Setzreben
vielleicht aus dem Wonnegau, ja kamen sie möglicherweise sogar aus
Pfeddersheim?
Gäbe es darauf eindeutige Antworten, dann läge der
Ursprung für die bisherige urkundliche Ersterwähnung des Rieslings im
südlichen Wonnegau, genauer in Pfeddersheim, der ehemals freien
Reichsstadt und dem heutigen Stadtteil von Worms. Gibt es hierfür
historische Beziehungen? Darauf gibt es keine klare Antwort.
Nachgewiesen ist allerdings, dass in Pfeddersheim „hörige Ausleute“
der Grafen von Katzenelnbogen wohnten, die ihre Abgaben über die
damalige Kellerei im rheinhessischen Stadecken abrechneten; denn dort
wurden in den Jahren 1427 und 1437 Einnahmen aus Pfeddersheim verbucht,
wie sich aus den Regesten des Hauses der Grafen von Katzenelnbogen
ergibt. In den Jahren 1425 und 1426 wurden auch schon im
Landsteuerregister der Obergrafschaft „7 menner“ aus Pfeddersheim
aufgeführt, die 18 Gulden zahlten. In dem denkwürdigen Jahr 1435, aus
dem die besagte Kellereirechnung der gräflichen Burg zu Rüsselsheim
stammt, kaufte der damals regierende Graf Johann IV sogar Wein in
Pfeddersheim, der sowohl nach Rüsselsheim, den Burgen der Obergrafschaft
als auch an die Burg Rheinfels geliefert wurde. Letztere war die größte
Burganlage am Rhein oberhalb von Sankt Goar, die von den Grafen von
Katzenelnbogen ab 1245 erbaut und zehn Jahre später fertig gestellt
worden war.
Die Frage ist also erlaubt: Kamen die frühesten erwähnten Riesling-Rebensetzlinge anno 1435 vielleicht doch aus Pfeddersheim? In der Tat:
Es wäre aus weinhistorischer Sicht hoch interessant, wenn dies gesichert
wäre... Aber auch diese Zusammenhänge mit den Rieslingsetzreben und
deren Bezugsort im Wonnegau sind bislang ebenso ungeklärt wie die
eigentliche Herkunft des Rieslings, dem immer wieder gerühmten „König
der Weißweine“.
Friedrich von Bassermann-Jordan, „Geschichte des Weinbaus“, Frankfurt/Main, 2. Auflage 1923,
Rudolf Knoll, „Plädoyer für einen großen Wein: Riesling“, Mainz 1990,
Heinz Lott – Franz Pfaff, „Rebsortenratgeber Rheinhessen“, Alzey-Oppenheim, 1978,
Ottraud
Rozumek-Fechtig, „Die Grafen von Katzenelnbogen – Weinbau und
Weinverzehr im 14. und 15. Jahrhundert“ in „Schriften zur
Weingeschichte“ Nr. 106, Wiesbaden 1993,
Josef Staab, „Der Riesling – Geschichte einer Rebsorte“ in „Schriften zur Weingeschichte“ Nr. 99, Wiesbaden 1991,
Otto
Volk, „Weinbau und Weinabsatz im späten Mittelalter, Forschungsstand
und Forschungsprobleme“ in Bd. 40 Geschichtliche Landeskunde, Stuttgart
1993,
Felix Zillien, „Pfeddetsheim und der Weinbau – 485. Geburtstag
der Rieslingurkunde“, herausgegeben vom „Orden der Freunde des
Pfeddersheimer Weins“, 1996.
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